Szene aus Angela Richters "Assassinate Assange".

Foto: Arno Declair

Julian Assange kommt nach Wien - wenngleich nicht in leiblicher Gestalt: Ab Donnerstag ist im Brut-Theater am Wiener Karlsplatz das umstrittene Stück "Assassinate Assange" von Angela Richter zu sehen, das den Wikileaks-Gründer in den Mittelpunkt stellt. Assange selbst verschanzt sich bekannterweise seit einigen Monaten in der ecuadorianischen Botschaft in London.

Wir erinnern uns: Im Sommer 2010 nahmen die schwedischen Behörden Ermittlungen gegen den 41-jährigen Australier auf - wegen des Verdachts auf "Vergewaltigung in einem minder schweren Fall", sexueller Belästigung und Nötigung. Gegen Assange liegt noch keine Anklage vor - kann auch nicht, da er sich bislang der Befragung durch die schwedische Justiz entzogen hat. Nachdem die zuständige Staatsanwaltschaft in Göteborg einen internationalen Haftbefehl gegen Assange erlassen hatte, gewährte ihm Ecuador im August dieses Jahres "politisches Asyl".

Gorillas im Mythos-Nebel

Ursprünglich wollte die Berliner Theaterregisseurin Angela Richter ein Stück über "Supernerds" inszenieren. Doch nach einem gemeinsamen Mittagessen mit Julian Assange und dem Star-Philosophen Slavoj Zizek, das sie im Vorjahr auf Ebay ersteigert hatte, entschloss sie sich, Assange zur Hauptfigur ihres Stücks zu machen. Mehrmals besuchte Richter Assange an seinem Fluchtort in der ecuadorianischen Botschaft - die protokollierten Gespräche bilden auch die Grundlage von "Assassinate Assange", das Ende September im Hamburger Kampnagel uraufgeführt wurde.

Mit dabei auf der Bühne: SchauspielerInnen in weißen Gorilla-Kostümen, die Aussagen von Assange nachsprechen. Den Vergewaltigungsvorwürfen aus Schweden räumt Richter viel Platz ein - und legt nahe, dass Assange, vom US-Militär offiziell zum "Staatsfeind" ernannt, ein Opfer von Gerüchten und der medialen Berichterstattung sei. Sie wolle keinerlei Propaganda für Assange betreiben, betonte Angela Richter im Vorfeld der Aufführung in einem "FAZ"-Interview. Der Mythologisierung der Person Assanges tut dies freilich keinen Abbruch.

"Bizarre Heldenverehrung", rüffeln die einen das Theaterwerk, "zugleich spannend und schwierig", resümieren andere in einem milderen Ton. Inwieweit sich die Haltung von Theaterregisseurin Richter zu Assanges mutmaßlichen Übergriffen in die allgemeine gesellschaftliche Rede über sexuelle Gewalt einfügt, bleibt hingegen unterbeleuchtet.

"Rape Culture" revisited

In der Ankündigung zu Richters Bühnenstück geben sich die Theaterhäuser in Hamburg und Wien schwülstig wie verklärend: Da ist die Rede vom "modernen Tragöden", dem "ersten tragischen Helden des Internet", an dessen Schicksal sich "die Licht- und Schattenseiten der Möglichkeiten und Freiheiten im Netz" offenbaren würden. Wie ernst der Vergewaltigungsvorwurf gegen "Popstar" Assange genommen wird, machen jene Stellen deutlich, die verkünden: "Zwei schwedische Frauen werfen ihm sexuelle Belästigung vor." Und: "Der einst Wahrheiten aus den Tiefen des Darknet ans Licht brachte, stolpert jäh über mangelnde Triebkontrolle."

Nach Protesten von antisexistischen Gruppen (unter anderem verfasste die Basisgruppe Theater-, Film und Medienwissenschaft einen offenen Brief, in dem die Absetzung des Stücks gefordert wird) hat das Brut seinen Programmtext mittlerweile geändert und eine Stellungnahme abgegeben. Darin heißt es unter anderem: "In dem Stück 'Assassinate Assange' geht es nicht um die Feststellung von Wahrheiten, sondern um eine Diskussion und Analyse medialer Funktionsweisen." Die künstlerische Leitung des Brut betont, "keineswegs sexuelle Gewalt gegen Frauen verharmlosen" zu wollen: "Falls der Programmtext (...) diesen Eindruck hat entstehen lassen, möchten wir uns hiermit dafür entschuldigen."

Die Proteste waren durchwegs legitim - denn eine solche verharmlosende Sprache ist symptomatisch für den herrschenden Umgang mit sexueller Gewalt und den davon Betroffenen. In euphemistischen Begriffen wie "Sex-Falle" und "sex by surprise" ("Überraschungssex"), wie sie in der medialen Berichterstattung zu Assange immer wieder fallen, spiegelt sich eine "Rape Culture" wider, wie feministische AktivistInnen es nennen - also jene gesellschaftliche Verfasstheit, in der sexuelle Übergriffe zugleich tabuisiert und legitimiert werden. Dagegen benennt die Bezeichnung "sexualisierte Gewalt", wie sie in feministischen Kreisen gebräuchlich ist, worum es eigentlich geht: nämlich nicht um Sexualität per se, sondern um die Ausübung von Macht und die Verleugnung von Selbstbestimmung über den eigenen Körper.

Let's talk about consent, baby

Wie "Victim Blaming" aussieht, führt Theaterregisseurin Angela Richter in einem Interview mit "Der Freitag" selbst vor: "Keine der beiden Frauen hat zu irgendeinem Zeitpunkt Nein gesagt", erklärt sie darin. "Vergewaltigung ist Sex unter Zwang, das hat hier nicht stattgefunden. Die Behandlung des Falles Assange schadet meiner Ansicht nach allen, die den Gräuel einer Vergewaltigung erleben mussten." Doch selbst die Schilderungen, die Assanges Anwalt bei einer Anhörung im Juli 2011 in London von sich gab, zeichnen ein anderes Bild von den Vorgängen (Achtung: Trigger-Warnung), wie etwa in der britischen Tageszeitung "The Guardian" nachgelesen werden kann.

Noch immer dominiert in unserer Gesellschaft die Vorstellung, Vergewaltigung passiere in dunklen Gassen und in einsamen Parkhäusern, ausgehend von einem unbekannten Täter. Dabei ist es eine längst bekannte Tatsache, dass die meisten Vergewaltigungen im persönlichen Nahbereich, sprich im Privaten, stattfinden. Folgerichtig ist in der hiesigen Gesetzgebung Vergewaltigung innerhalb der Ehe beziehungsweise Lebensgemeinschaft auch als Straftatbestand (seit 2004 als sogenanntes Offizialdelikt) definiert.

Nur "Ja" bedeutet "Ja"

Richters Aussage folgt der Logik der Täter-Opfer-Umkehrung - kaum wird der Vorwurf eines sexuellen Übergriffs geäußert, steht die Frau erst mal selbst unter Verdacht: Sagt sie wirklich die Wahrheit? Hat sie sich überhaupt gewehrt? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum nicht? Im zuvor erwähnten "FAZ"-Interview über Assange wurde Richter übrigens tatsächlich gefragt: "Finden Sie ihn attraktiv?"

Dass eine Gegenwehr nicht immer möglich ist - etwa aus Angst oder Scham -, wurde in zahlreichen feministischen Auseinandersetzungen dargelegt, so auch in der breit rezipierten Kampagne "#ich habe nicht angezeigt". In der jüngeren Vergangenheit wurden dem viel zitierten Slogan "No means No" Modelle wie das "Zustimmungskonzept" und "Definitionsmacht" hinzugefügt - Modelle, die jene Grauzonen thematisieren, die nicht durch gesetzliche Definitionen gedeckt sind und statt eines universellen Gewaltbegriffs ein subjektbezogenes Verständnis von Gewalt favorisieren. In der Praxis bedeutet das unter anderem: Nicht alles, was als einvernehmlicher Sex beginnt, endet auch im Konsens. Daher ist auch das schwedische Sexualstrafrecht nicht besonders "streng", sondern nimmt nur jene Differenzierung vor, wie sie in anderen Gesetzgebungen fehlt.

Geteilte Freiheit

Doch zurück zu Angela Richter. Ihre Aussagen setzen letztlich einen trügerischen Gegensatz fort: Ist man für Wikileaks und damit für Assange, dessen Name quasi als Synonym für "Freiheit der Information" und Transparenz verwendet wird, muss der Vergewaltigungsvorwurf verneint werden. Da mutet es geradezu bitter an, dass "Assassinate Assange" als Teil des aktuellen Brut-Themenschwerpunkts "Freedom of Speech" aufgeführt wird. Ergreift man hingegen Partei für die betroffenen Frauen, gilt man als politischeR VerschwörerIn.

Angesichts dieser falschen Opposition möchte man all jenen, die in Verteidigung von Julian Assange sexualisierte Gewalt bagatellisieren, die Frage stellen: Seit wann gehören Frauenrechte und Freiheit nicht mehr zusammen? (Vina Yun, dieStandard.at, 18.10.2012)